17.11.2018: RENÉ SYDOW

Intellektuell hochklassiger Rundumschlag

Politisches Kabarett mit René Sydow sorgte für nachdenkliche Mienen

Politisches Kabarett muss nicht zwanghaft etwas zum Lachen sein. Bestimmt nicht, wenn man sich ein Programm von René Sydow anhört. Der 38-jährige Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur und Kabarettisten sprach am vergangenen Samstag vor 180 Gästen bei Kulturlant im Lantershofener Winzerverein und machte dem Publikum dabei gleich zu Beginn klar: „Wenn Sie Unterleibskomik erwarten, muss ich Sie wahnsinnig enttäuschen.“ Natürlich streute Sydow hin und wieder einen Gag ein, auch schon Mal einen uralten Witz. Die Aufmerksamkeit hochhalten, während man sich mit den aktuellen Problemen im Kleinen, wie im Großen beschäftigt, so der Tenor. Sydow, der zuletzt mit Kabarettpreisen nur so überschüttet wurde und der dennoch kein Dauergast in den einschlägigen Formaten ist, weil er sich ob seiner Texte gerne mit den Entscheidern in den Sendern anlegt, setzte zu einem Rundumschlag an und forschte dabei immer wieder nach der „Bürde des weisen Mannes.“ So lautete auch der Titel des Programms.

Dabei klagte Sydow nicht an. Immer wieder, wenn er Missstände aufzudecken versuchte, machte er auch klar: „Das muss wohl so sein.“ Vielleicht, um das Publikum nicht allzu sehr aufzuschrecken. Denn dort saßen einige, die sich direkt angesprochen fühlen konnten, wenn der Kabarettist sich über Kirche, Religion oder Schule äußerte. Und darüber, dass es immer nur ums eigene Ego und ums Geldvermehren gehe. „Krieg, Handel und Piraterie – dreieinig sind sie“, legte er Faust neu auf. Sydow befasste sich mit Europa, das den Glauben an sich selbst längst verloren habe. Nun mache die Politik ein Kaufhaus daraus, bei dem die Reichen immer reicher würden, die Armen, wie Spanien oder Italien aber nur den Zugang zu den Grabbeltischen im Erdgeschoss erhielten. „Die Politik erwartet Europa-Patriotismus, denkt aber selber nicht daran“, so Sydow, der neue Begriffsdefinitionen vorstellte: Imperialismus heißt heute Welthandel, Krieg nennt man neudeutsch Friedenseinsatz.

An der Kirche ließ der Kabarettist ebenfalls kein gutes Haar, wen er auch betonte: „Religionen sind schwer im Kommen.“ Aber sie seien auch ewige Vertröstungsmaschinen. Und eines sei auch klar: „Solange ein Münzlein im Kästchen liegt, der Bischof erster Klasse fliegt.“ Sydows ganz große Themen: Fernsehen, Internet, Schule. Aufs TV-Programm hatte er sich eingeschossen. Das Leben der Prominenten (und wie schnell wird man bei RTL2 prominent) biete Sendezeit für Dorftrottel, weil sie doch so authentisch daherkämen. Für Sydow eher „Analphabetismus als Chance.“ Man müsse die Zuschauer doch dort abholen, wo sie sind“, argumentieren die Privatsender. „Schwachsinn“, so der Kommentar des Kabarettisten, der in seinen Vortrag Zwiegespräche einstreute, eines sogar mit dem Teufel persönlich. Auch der wusste: Billigläden sind die neue Religion, Shopping-Malls die neuen Kirchen. Und der Menschen unterscheidet sich vom Maulwurf nur dadurch, dass er Bausparverträge unterschreibt.

Zuletzt dann Sydows Blick auf die Schulen, die heute mehr der Sozialarbeit, als der Lehre dienten, denn: „Das Kind ist heute ein Objekt, der Lehrer der Insolvenzverwalter der Windel-Ich-AGs.“ Wieso werden 2,8 Milliarden Euro in Deutschland in die Digitalisierung der Schulen investiert und dafür nicht viel besser Instrumente gekauft, Lehrer besser bezahlt und neu eingestellt? Flächendeckende Förderung? Gibt es nicht. „Wir fördern heute Exzellenzen und bieten keine Bildung mehr. So züchten wir uns eine McDonalds-Kultur ran, es geht nur noch um Wirtschaftskenntnisse, Geisteswissenschaften werden an Schulen komplett vernachlässigt.“ Vieles in Lantershofen war starker Tobak, aber auch politisches Kabarett als intellektueller Hochgenuss, auf den Punkt gebracht mit scheinbar unerschöpflichem Wortwitz. „Am Ende werden wir sagen“, bilanzierte der Kulturlant-Gast, „jeder einzelne von uns hat 30.000 Facebook–Kommentare geschrieben, 3.000 Fotos hochgeladen und die ganze Welt fotografiert, aber sie nie begriffen. Wir haben die Kinder digitalisiert und standardisiert, haben ihnen Kompetenzen statt Bildung vermittelt, bis sie gesichtslos in der Masse waren – und von den verlorenen Gesichtern haben wir Selfies gemacht.“

Veranstaltungsankündigung

„Die Bürde des weisen Mannes“

Nach seinem ersten, mit 11 Kabarettpreisen ausgezeichneten Programm GEDANKEN! LOS!, wurde René Sydow von der Presse als der „am lautesten geflüsterte Geheimtipp“ des politischen Kabaretts bezeichnet. Mit seinem zweiten Solo löste er dieses Versprechen ein und präsentierte uns ein Programm über den Irrsinn in der Politik. Er nahm sich Minister, Medienmacher und andere Mitglieder des organisierten (V)Erbrechens vor.

In seinem dritten Soloprogramm geht der Träger des Deutschen Kabarettpreises etwas weniger laut, aber umso intensiver der Frage nach, was uns zum Menschen macht: Bildung? Wahlrecht? Oder doch nur freies WLAN?

Warum wird die Welt nicht klüger, wenn der Zugang zu Wissen noch nie so leicht war? Warum verarmen Menschen, bei all dem Reichtum der Welt? Woher kommen Hass, Fanatismus und Turbo-Abi? Wer ist schuld an diesem Elend? Und wer trägt eigentlich die Bürde des weisen Mannes?

Zum Schreien traurig und schockierend lustig. Dunkel und hoffnungsvoll. Politisches Kabarett auf der Höhe der Zeit.

Pressezitate:

„Sydow beherrscht das schwere Metier der bitteren Ironisnahmemusiker sein Instrument. Seine Pointen streicheln nicht, sie kommen mit der Wucht einer Maschinengewehrsalve. Rotzfrech. gnadenlos ehrlich und mit so viel gedanklichem Zündstoff, daß man ein Städtchen damit sprengen könnte.“ (Schwarzwälder Bote)

„Interessant, vielschichtig, fesselnd (…) Kein Witze-Reißer oder Pointen-Trickser spricht da, sondern ein Dichter.“ (Ostsee-Zeitung)

„René Sydow ist eine Bereicherung für das deutsche Politkabarett.“ (Bonner Generalanzeiger)

„Der Abend wird erleuchtet von einer eloquenten Brillanz, die ihresgleichen suchen darf: Eine Sprache von wütender Schönheit und bezaubernd poetischen Wendungen.“ (Mainzer Allgemeine Zeitung)

„Ein fantastisches Zusammenspiel aus bissiger Politsatire und literarischen Texten.“ (Kölnische Rundschau)

„Ein linguistischer Höllenritt, ein Wortgefecht der Extraklasse.“ (Badische Neueste Nachrichten)

Preise und Auszeichnungen:

Deutscher Kabarett-Preis 2016 (Förderpreis) / St. Ingberter Pfanne / Stuttgarter Besen in Silber / Kleinkunstpreis des Landes Baden-Württemberg (Förderpreis) / Dresdner Satirepreis / Tuttlinger Krähe in Silber / Das schwarze Schaf in Silber / Rostocker Koggenzieher in Gold / u.v.m.

Link: www.rene-sydow.de

 

 

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