Analoges Chatten ist wieder in Mode
Der Kabarettist Mathias Tretter gab in Lantershofen den politisch korrekten Spießer
Spießer? Gibt es in der heutigen Gesellschaft keine mehr. Dafür aber eine Fülle toleranter Elektromobilitäts-Windkraft-Veganer. Mit Aussagen wie dieser trat der im Jahr 2017 mit dem Deutschen Kabarettpreis ausgezeichnete Mathias Tretter am Freitag vergangener Woche in Lantershofen auf. Dabei schien Tretter doch viel zu gerne selber der Spießer zu sein. Er sei nicht arrogant, nur zu klug, machte er deutlich, als er mit knallrot geschminkten Lippen auf die Bühne trat und sich zunächst outen wollte. Wegen der Lippen? Nein. „Ich trage mit 46 Jahren jetzt Brille. Ich bin sehbehindert.“ Selbstmitleid kann er auch. Ansonsten aber bestach der Wahl-Leipziger, dessen Akzent die Heimat Würzburg immer noch verriet, mit intelligentem Polit-Kabarett. Tretter provozierte, nahm den allgegenwärtigen Populismus ins Visier und hinterfragte bei den 200 Gästen im Lantershofener Winzerverein, ob ungebildete Dilettanten in der Politik wirklich so toll seien, wie viele meinen.
Mal kritisch, mal lustig stellte der Kabarettist, dem ein Stuhl und ein Stehtisch auf der kargen Bühne genügten, Fakten auf den Kopf und strickte Zusammenhänge, auf die man auch erst einmal kommen muss. Dabei schein er nie alleine auf der Bühne, führte immer wieder imaginäre Zwiegespräche, mal jammernd mit der verständnislosen Ehefrau, mal mit dem Nachwuchs, am liebsten aber mit seinem als Philosoph gescheiterten Studienfreund Ansgar. Philosophie auf dem Kissen im Fenster des Erdgeschosses liegend, während auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Mob verweilt. Das sei „Windowing“, analoges Chatten am Interface zwischen privatem und öffentlichem Raum. „Das Volk muss da durch“, so Tretter, der besagtem Volk noch ganz anderes zumutete und dabei in seinem Programm „Pop“ den Bogen von Trump zur AfD und dann zum Journalisten spannte. Kaum ein Thema des aktuellen klassischen Kabaretts blieb außen vor.
„Pop“ ist dabei die Abkürzung für die neue Partei, die Ansgar gründen möchte. „Partei ohne Partei.“ Gründungsversammlung in der Paulskirche. Nicht in Frankfurt, sondern irgendwo in einer Paulskirche der Provinz, die Ansgar mieten konnte, weil er dem Verwalter mal etwas Koks vertickern konnte. Tretter wehrte sich vehement dagegen, als Festredner der Gründung aufzutreten, zog lieber über Stimmung schürende Rechtspopulisten und Dilettanten her. Gutes Beispiel für letztere seien die USA, in der ein Gros der Bevölkerung einen ungebildeten Präsidenten gewählt habe. Auch ein großes Thema Tretters: die Entwicklung der Sprache. Homeoffice statt Arbeit am Schreibtisch, Schlafsysteme statt Betten, Ethnopluralisten statt Rassisten. Da gefalle ihm das politisch inkorrekte Vokabular doch viel besser, lässt Tretter eine Tirade deftigster Worte los, sodass ein Raunen durchs Publikum geht. „Je mehr political correctness, desto größer die Anzahl der Schimpfwörter“ ist sein logischer Schluss. Kein Wunder, lebt die Welt doch gerade im Zeitalter des Amateurs. Am Ende erhielt der Künstler begeisterten zustimmenden Beifall, die Botschaft bei Kulturlant war angekommen.
Veranstaltungsankündigung
Mathias Tretter: „Pop“
“In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.” Andy Warhol meinte es tatsächlich ernst, als er jedem diesen Quatsch versprach. Aus den 15 Minuten sind ja längst 140 Zeichen geworden. Zwar wird auch damit niemand zwingend berühmt, aber mitunter zumindest US-Präsident.
Was mit Casting-Shows begann, erreicht in Donald Trump nun endlich seinen sturmfrisierten Höhepunkt: Das Zeitalter des Amateurs. Blogger sind die neuen Journalisten, Hipster die neuen Bierbrauer, AfDler die neuen CDUler. Sänger kriegen den Literatur-Nobelpreis, Kinder erziehen ihre Eltern, das Oval Office ist der neue Hobbykeller. Und außenrum und untendrunter die Welt, die schlingert, dass es selbst den Profis schlecht wird. Die Zehner Jahre: Dilettanz auf dem Vulkan.
Die Auskenner dagegen heißen „Lügenbresse“ und „verschisenes Estäplischment“ (sic – wenn Rechte schreiben, führt das nicht zu Rechtschreibung). Einst hat man seine Mängel kaschiert, heute versteckt man seine Fähigkeiten. Wer Adorno zitiert, gilt als großkotzige Elitesau. Aber wenn man sagt: „Adorno? Sie meinen den neuen Fünftürer von VW?“ – dann ist man im Gespräch.
David Bowie, Prince, Leonard Cohen und George Michael mussten einfach sterben in dem Jahr, in dem alles Pop wurde. Mathias Tretter ist noch da. Lebendiger denn je, böse wie nie, mit dem Programm der Stunde: Pop – Politkomik ohne Predigt. Von einem Profi oraler Präsenz.
Mit Plödeleien oberster Populistik. Peziehungsweise, ohne Pescheidenheit: 150 Minuten Ruhm.
… und die Presse schrieb:
- Polemisch, selbstironisch, intelligent, eloquent, unterhaltsam, niveauvoll. Tretter gehört zur allerersten Riege junger politischer Kabarettisten, zu jenen, die nicht in den Fußstapfen eines Granden wie Dieter Hildebrandt versinken würden. Großartig. (Göttinger Tageblatt)
- Tretter geht immer. Garantiert! (Bonner General-Anzeiger)
Preise und Auszeichnungen:
- Leipziger Löwenzahn 2015 (für bestes Programm der Leipziger Lachmesse 2015)
- Gaul von Niedersachsen 2015
- Deutscher Kleinkunstpreis 2010 (Sparte Kabarett / mit dem Ersten deutschen Zwangsensemble)
- Deutscher Kabarettpreis 2009 (Förderpreis)
- Bayerischer Kabarettpreis „Senkrechtstarter“ 2008
- Salzburger Stier 2007 (mit dem Ersten deutschen Zwangsensemble)
- Jurypreis des Berliner Kabarett-Theaters „Die Wühlmäuse“ 2006
- Mindener Stichling 2006 (Sonderpreis für das Erste deutsche Zwangsensemble)
- Passauer Scharfrichterbeil 2005 (2. Platz)
- Stuttgarter Besen in Silber 2005
- Thurn & Taxis Kabarettpreis 2004
- Rottweiler Kabarettpreis 2004
- Kabarett-Kaktus, München 2003
- Schweiger Kleinkunstpreis 2003